Mit der medizinischen Forschung an Methoden das Altern zu stoppen oder gar umzukehren, keimte auch die Diskussion darüber auf, ob der Alterungsprozess als Krankheit bezeichnet werden kann. Damit spiele das Altern in einer Liga mit Krebs, Diabetes oder etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Um sich der Antwort auf die titelgebende Frage anzunähern hilft es, sich die Definition von Krankheit etwas genauer anzuschauen. Der Pschyrembel beschreibt Krankheit als „Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen und/oder objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen. Krankheit wird von der Befindlichkeitsstörung ohne objektivierbare medizinische Ursache abgegrenzt.“ Kurzum: Krankheit benötigt also eine identifizierbare Ursache. Ein Beispiel: Bei Typ 2 Diabetes mellitus, umgangssprachlich auch Altersdiabetes, ist die Insulinresistenz der Zellen ursächlich. Insulin ist ein Hormon, das in der Bauchspeicheldrüse produziert wird und den Blutzuckerspiegel senkt. Es sorgt also dafür, dass die Glucose (der Zucker aus unserer Nahrung) vom Blut in beispielsweise Muskelzellen transportiert wird, damit diese Energie für unsere tägliche Bewegung bereitstellen können. Bei Typ 2 Diabetes reagieren die Zellen auf Insulin schlechter – der Blutzuckerspiegel bleibt hoch. Auf Basis dieses Zustands entwickeln sich diverse Folgeerkrankungen.
Vor dem Hintergrund einer feststellbaren Ursache, bezieht das traditionelle Lager Position. Vertreter dieser Auffassung differenzieren zwischen Organstörungen (und solchen die den ganzen Organismus betreffen) und dem Alterungsprozess. Für den renommierten Alternsforscher Prof. Andreas Kruse ist Altern eine „natürliche, irreversible Veränderung der lebenden Substanz“. Bei Erreichen einer natürlichen Schwelle erlischt das Leben, manchmal sogar ganz ohne sichtbare Krankheit. Auch wenn es einen losen Zusammenhang zwischen Alter und zunehmenden Krankheitsrisiken gibt, sind Alter und Krankheit zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Biologie teilt diese Annäherung mitunter. Älter werden ist hier ein Prozess bzw. die Folgen der Abnutzung von lebender Materie im Zeitverlauf. Dieser Vorgang führt über kurz oder lang zu der Unfähigkeit zu überleben, sprich zum Tod. „Aus biologischer Sicht ist Altern also ein degenerativer Prozess, wie es in dieser Definition auch betont wird“ meint Dr.in Hildegard Mack, Forscherin am Forschungsinstitut für biomedizinische Alternsforschung an der Uni Innsbruck in einem Podcast.
Wenn die Definition von Krankheit Heilbarkeit als Voraussetzung hat, dann würden eventuelle Mittel das Altern zu verlangsamen, zu stoppen oder gar umzukehren die gegensätzliche Position unterstützen. Anhänger dieser neuzeitlichen Ansicht halten das Altern für ein Problem, das es zu lösen gilt. Dieser Position liegt die Auffassung zu Grunde, dass der Mensch grundsätzlich reparierbar ist. Es geht dabei um die Therapie von Veränderungen auf zellulärer und molekularer Ebene, auf deren Basis sich zahlreiche altersassoziierte Erkrankungen entwickeln. Ein Beispiel dafür sind UV-Strahlen, die DNA-Doppelstrangbrüche verursachen. Etwas anschaulicher: Die DNA ist so etwas wie der Bauplan für den Körper – wenn gewisse Seiten fehlen, ergibt das ganze Buch mitunter keinen Sinn. Derartige Veränderungen können vom Körper in jungen Jahren besser repariert werden als in späteren Lebensphasen. Solche und noch viele andere Prozesse sind für die ganz normale Alterung verantwortlich, können aber auch zur Entstehung von chronischen Krankheiten beitragen. Könnte das Alter therapiert werden, dann würde es folglich denkbar sein, einen ganzen Komplex von lebenslimitierenden Erkrankungen vorzubeugen. Zwei Fliegen mit einer Klappe – ein großes Versprechen, dessen Möglichkeit die Forschung in dieser Deutlichkeit erst ergründen muss.
Kritiker sagen, dass es sich bei der Klassifizierung von Alter als Krankheit um die Pathologisierung eines natürlichen Prozesses handelt. Man kann statt von einer Krankheitsbehandlung aber auch von Krankheitsprävention oder dem Bestreben einer Gesundheitserhaltung sprechen. Ein Perspektivenwechsel wirkt hier horizonterweiternd. War es vor einiger Zeit noch die Anstrengung von Unsterblichkeitsvisionären, das Leben auf 130 Jahre und mehr zu verlängern, so sind Forscherinnen und Forscher davon mittlerweile abgerückt. Die Immortalisten sind von den sogenannten Healthspanners nach und nach verdrängt worden. Der neue Vorsatz lautet das gleiche Alter zu erreichen, aber fitter, vitaler, gesünder und selbstbestimmter. Sollte das möglicherweise dann auch zu einer Lebensverlängerung führen, ist das ein gern gesehener Nebeneffekt.
Summa summarum vetreten beide Lager logische und nachvollziehbare Argumente. Das ist auch der Grund, warum es objektiv betrachtet nicht möglich ist, eine klare Tendenz in eine Richtung abzuleiten. Das müssen wir auch nicht. Viel wichtiger ist es, Zeit und Ressourcen für die Forschung zu verwenden, um damit Möglichkeiten zu eröffnen, das Streben nach Heilung und langer Gesundheit mit Erkenntnisgewinn zu untermauern. Unabhängig davon, ob der Antrieb eine einzelne Krankheit oder das Altern generell ist.
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Podcast David Sinclair
Ist Altern eine Krankheit?
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