Jeden Morgen klingelt uns der Wecker ohrenbetäubend aus dem Reich der Träume. Noch nicht einmal richtig in der realen Welt angekommen wankt man ins Badezimmer, um mit langsamen Schritten den Tag starten zu lassen. Kurz wird mit kaltem Wasser der letzte Rest an Müdigkeit aus dem verschlafenen Gesicht gewaschen. Gefolgt von einem prüfenden Blick in den Spiegel. Oh je, wie sieht man denn aus? Augenringe, neu entdeckte Falten oder zusätzliche, graue Haare erscheinen als Schönheitsmakel auf dem Antlitz. Stirnrunzelnd überlegt man, wer wohl der Übeltäter war. Lag es an der wilden Feier vom Vortag, der langen nächtlichen Arbeit oder war es der mühsame, gestrige Tag? Man fühlt sich einfach wieder älter – älter, als man eigentlich wäre. Auf einmal fällt es einem wie Schuppen von den Augen. Da haben wir ihn, den Übeltäter: das Altern.
Gedankenversunken gleitet man beinahe wieder in die – daraus gerade erst erwachten – Träume zurück. Nie wieder Falten, Gebrechlichkeit und Krankheit sollen dort das Ziel sein. Doch kann das Fortschreiten des Alterns so leicht ausgetrickst werden und wie lässt sich das eigentliche, biologische Alter wissenschaftlich ermitteln? Die Antworten auf diese spannenden Fragen klären wir in diesem Beitrag.
Was ist denn Altern?
Bevor wir mitten in die Materie einsteigen, müssen wir uns zuerst mal mit dem Altern per se befassen. Denn selbst nach unserem heutigen Wissensstand ist der Prozess des menschlichen Alterns noch nicht vollumfänglich geklärt. Jedoch gibt es in diesem Zusammenhang bereits grundlegende Erkenntnisse. Demnach sind insbesondere genetische und epigenetische Faktoren ausschlaggebend für den Alterungsprozess bei Menschen. Genetik, okay, das kennen wir noch aus der Schule und befasst sich mit unserer DNA, also das Erbgut, welches weitervererbt wird. Und das andere – epigenetisch?
Epigenetische Veränderungen betreffen nicht den genetischen Code selbst. Das bezeichnet die altgriechische Silbe „epi“, was um oder auf bedeutet – also jenseits des Gencodes. In der Epigenetik beschäftigt man sich demnach nicht mit Mutationen, sondern mit Modifikationen, welche die Aktivität bestimmter Gene beeinflussen. Zu diesen Modifikationen gehört beispielsweise die Methylierung, die zur Abschaltung von zellulären Prozessen führt. Aber nun die gute Nachricht: Während DNA-Mutationen unwiderruflich sind, können epigenetische Veränderungen leicht wieder rückgängig gemacht werden.

Biologisch versus chronologisch
Aber kehren wir jetzt zu unserem einleitenden Alltagsbeispiel zurück: der morgendliche Blick auf das Spiegelbild. Unser Alter schreitet in der Tat nicht linear voran, sondern hinterlässt nur gelegentlich seine Spuren. Neben dem chronologischen Alter als reine Zeitangabe gibt es das biologische Alter eines Menschen. Dieses Alter ergibt sich aus den gesamten Einflussfaktoren auf unser Leben. Unterschiedlichste Ereignisse, Umweltbedingungen oder Lebensführung haben eine bestimmende Wirkung auf die Entwicklung des biologischen Alters. Demnach kann das biologische Alter durchaus von der Summe der Lebensjahre abweichen.

Wie alt bin ich also wirklich?
Um nun herauszufinden, wieviel Kerzen auf dem Kuchen des biologischen Alters brennen, macht man sich die zuvor geschilderten Kenntnisse der Epigenetik zunutze. Mit zunehmendem Lebensalter kommt es zu solchen charakteristischen, epigenetischen Veränderungen, welche Rückschlüsse auf das biologische Alter eines Menschen ermöglichen. Die Feststellung eines bestimmten Methylierungsgrades an ausgewählten Punkten der DNA, erlaubt eine Bestandsaufnahme des aktuellen Alters. Diese objektive Methode zur Ermittlung des biologischen Alters ist die sogenannte epigenetische Uhr.
Eine epigenetische Uhr ist keine Uhr im herkömmlichen Sinne, sondern ein biochemischer Test, der anhand einer Körperflüssigkeits- oder Körpergewebeprobe durchgeführt wird. Der Altersforscher und Genetiker Professor Steve Horvath und seine KollegInnen an der Universität von Kalifornien entwickelten aus DNA-Analysen dieses Verfahren zur Ermittlung des menschlichen Alters. Des Weiteren revolutionierte das Team um Professor Moshe Szyf an der McGill Universität in Montreal die Methodik. Mittels künstlicher Intelligenz, sowie Machine Learning, können die gewonnenen Informationen schneller analysiert und korreliert werden, um zugrunde liegende Muster und Änderungen zu erkennen und daraus wichtige Erkenntnisse abzuleiten.
Die Entscheidung liegt bei Ihnen
Epigenetische Uhren können also Aussagen darüber treffen, ob ein Mensch seinem chronologischen Alter voraus ist oder sich noch unter der Summe seiner reinen Lebensjahre befindet. Das Alter und vor allem die Geschwindigkeit des Älterwerdens hängen wie bereits erwähnt mit den individuellen Lebensgewohnheiten und der persönlichen Lebensführung zusammen. In der Folge wird das Altern durch Faktoren wie Ernährung, körperliche Aktivität oder das soziale Umfeld beeinflusst. Übermäßiger Konsum von schädlichen Genussmitteln wie Alkohol beeinflussen das biologische Alter negativ und gesundheitsfördernde Faktoren wie regelmäßige Bewegung und eine ausgewogene und gesunde Ernährung wirken sich demnach positiv auf den Alterungsprozess aus. Wissenschaftler gehen nach aktuellem Erkenntnisstand davon aus, dass die Lebenszeit eines Menschen zu 25 Prozent von den Genen und zu 75 Prozent von der Lebensführung und dem Lebensstil abhängen. Daher kann das biologische Alter durch eine gesunde Lebensführung auch stark beeinflusst werden.

Tick, Tack – Zeit zu handeln!
Epigenetische Uhren können heute bereits helfen, kranke und gesunde Zellen besser zu verstehen, die sich aufgrund des Alters verändert haben. Somit ist es grundsätzlich möglich, das Risiko für bestimmte Alterskrankheiten besser vorherzusagen und abzuschätzen. Durch die episodische Anwendung des Alterstests lassen sich Veränderungen des biologischen Alters im Verlauf nachverfolgen. Zusätzlich lassen sich Effekte von gesundheitsfördernden Maßnahmen überprüfen, um eine optimierte Lebensführung in allen Lebensbereichen zu gewährleisten. Zu einem Körper gefüllt mit Gesundheit und Kraft gehört unter anderem eine richtige Ernährung, sportliche Betätigung und ausreichend Schlaf. Die epigenetische Uhr ist wie der ohrenbetäubende Wecker, der uns täglich grüßt. Eine Möglichkeit nicht nur zu Träumen, sondern eben genau diese wahr zu machen: die Gesundheit und das Leben selbst in die Hand zu nehmen!
Literatur
Horvath, S., & Raj, K. (2018). DNA methylation-based biomarkers and the epigenetic clock theory of ageing. Nature reviews. Genetics, 19(6), 371–384. https://doi.org/10.1038/s41576-018-0004-3
Szyf, M., & Bick, J. (2013). DNA methylation: a mechanism for embedding early life experiences in the genome. Child development, 84(1), 49–57. https://doi.org/10.1111/j.1467-8624.2012.01793.x
Gibson, J., Russ, T. C., et al. (2019). A meta-analysis of genome-wide association studies of epigenetic age acceleration. PLoS genetics, 15(11), e1008104. https://doi.org/10.1371/journal.pgen.1008104
Ryan, J., Wrigglesworth, J., Loong, J., Fransquet, P. D., & Woods, R. L. (2020). A Systematic Review and Meta-analysis of Environmental, Lifestyle, and Health Factors Associated With DNA Methylation Age. The journals of gerontology. Series A, Biological sciences and medical sciences, 75(3), 481–494. https://doi.org/10.1093/gerona/glz099
epiAage. (2021). Was ist Epigenetik. Zuletzt aufgerufen am 14.05.2021.Verfügbar unter: https://www.epi-age.de/