Einfach mal Pause machen – sich erholen. Das machen wir Menschen gern. Man könnte sogar geneigt sein zu sagen, dass es in unserer Natur liegt. Schaut man etwas genauer auf die Basis unserer Existenz, die Zellen, dann ist dieser Gedanke eigentlich schon ziemlich nah an der molekularen Realität dran. Auch die Zellen machen unter gewissen Umständen eine Pause bzw. hören auf sich zu teilen. Man bezeichnet diesen Zustand als zelluläre Seneszenz. Während wir nach einer kurzen oder längeren Erholung meistens wieder fit sind, verhält sich das bei Zellen allerdings nicht ganz so linear. Zu unserem Schutz und auch Leidwesen. Wie lässt sich das miteinander vereinbaren?
Hayflick-Limit und Telomerabrieb
Seneszenz (von lat. senescere; altern) spielt als Endstrecke von einigen Prozessen im Körper eine bedeutende Rolle, zumal in den vorherigen Artikeln wiederholt darauf verwiesen wurde (siehe genomische Instabilität und mitochondriale Dysfunktion). Zelluläre Seneszenz ist grundsätzlich ein stabiler Stillstand des Zellzyklus. Erste Entdeckungen in diese Richtung machten in den frühen 1960er Jahren die Wissenschaftler Leonard Hayflick und Paul Moorhead. Sie fanden heraus, dass sich menschliche Fibroblasten (Zellen des Bindegewebes) in einer Kultur maximal etwa 50mal teilen, bevor sie plötzlich stillstehen und altern.
Was heute gängig ist, war damals bahnbrechend. In jenen längst vergangenen Tagen herrschte nämlich in der Zellbiologie die Ansicht vor, dass alle gezüchteten Zellen unsterblich sind. Hayflick stürzte dieses Dogma mit seinen Experimenten und fand heraus, dass nur Krebszellen dieses Merkmal haben. Das Phänomen der Teilungsobergrenze heißt replikative Seneszenz, oder nach seinem Entdecker: Hayflick-Limit. Gegenwärtig wissen wir, dass die von Hayflick beobachtete Seneszenz durch Telomerverkürzung verursacht wird. Es gibt aber auch noch andere Stimuli, abseits des Telomerabriebs, die zelluläre Seneszenz auslösen können.
Wie misst man Seneszenz?
Neben Schäden im Bereich der Telomere tragen insbesondere zwei weitere Punkte zur zellulären Seneszenz bei: nicht-telomerische DNA-Schäden und der INK4/ARF Locus auf der DNA. Beide treten im Zusammenhang mit chronologischer Alterung auf und vermögen es Seneszenz zu induzieren – das hat man in Experimenten nachgewiesen. Aber wie weist man sowas eigentlich nach?
Erstmal wichtig ist die Tatsache, dass Seneszenz nicht direkt messbar ist. Es existiert kein Laborparameter, der nach einer Blutabnahme einen konkreten Wert ausspuckt. Deshalb bedienen sich ForscherInnen sogenannten Ersatzmarkern, die indirekt einen Rückschluss erlauben. Im Fall der zellulären Seneszenz verwendet man als Marker DNA-Schäden oder die Senezenz-assoziierte β-Galaktosidase (SABG).
In einer Studie aus dem Jahr 2009 (Wang et al.) wurde anhand dieser beiden Parameter eine Quantifizierung bei Mäusen durchgeführt. Dabei ergaben sich Werte von etwa 8% seneszierenden Zellen bei jungen Mäusen und ca. 17% bei sehr alten Mäusen. Betrachtet man die Werte nach Organen so fanden sich ähnliche Werte in Haut, Lunge und Milz. Keine Veränderungen beobachteten die ForscherInnen bei Herz, Niere oder dem Muskelgewebe. Das ist spannend, weil es bedeutet, dass sich das Ausmaß der zellulären Seneszenz von Gewebe zu Gewebe unterscheidet. Bei Tumorzellen beispielsweise gibt es experimentelle Hinweise, dass sie streng immunüberwacht werden und in der Folge auch effizient entfernt werden können.
Altern und zelluläre Seneszenz
Wir wissen nun, dass mit zunehmendem Alter die Menge an seneszenten Zellen zunimmt. Diese Beobachtung wurde in zahlreichen Studien gemacht. Warum ist das so? Ohne sonderlich detailreich zu werden gibt es darauf eine einfache Antwort. Es werden zu viele dieser seneszierenden Zellen erzeugt oder es werden zu wenige abgebaut. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Dass deshalb die Alternsforschung nun ein neues Feinbild hat, wäre allerdings zu kurz gedacht. Der Zusammenhang ist nicht so linear, wie es auf den ersten Blick scheint.
Möglicherweise ist der Hauptzweck der Seneszenz ein ganz anderer. Nämlich die Verhinderung der Vermehrung von geschädigten Zellen und das Auslösen der Abräumung durch das Immunsystem. Wir erinnern uns, dass DNA-Schädigung ein Ersatzmarker ist, mit dem Seneszenz quantifiziert wird. Seneszenz ist u.A. eine vorteilhafte Ausgleichsreaktion, um Gewebe von kaputten und eventuell sogar tumorösen Zellen zu befreien. Die Voraussetzung dafür ist allerdings ein wirkungsvolles Zellersatzsystem. Denn die seneszierenden Zellen müssen erst entfernt und in weiterer Folge auch wieder ersetzt werden, damit die Homöostase bzw. das Gleichgewicht im Gewebe erhalten bleibt. Genau hier ist der Haken bezugnehmend auf das Altern.
Dieses Umsatzsystem hat mit zunehmendem Alter eine Tendenz zur Ineffizienz, was sich in einer mangelnden Regenerationskapazität von Zellen widerspiegelt. Damit kommt es zur Ansammlung von seneszierenden Zellen, die über kurz oder lang den Schaden verschlimmern und das Altern verstärken. Allein die Anwesenheit von einer stetig zunehmenden Anzahl an stillgelegten Zellen ist jedoch nicht entscheidend dafür. Vielmehr ist das Sekretom der Übeltäter. Sekretom klingt erstmal geheimnisvoll, ist aber „nur“ die Gesamtheit aller sezernierten Stoffe einer Zelle. Im Fall von seneszierenden Zellen ist das Sekretom besonders reich an entzündungsfördernden und destruierenden Stoffen. Das neunte Kennzeichen des Alterns, die interzelluläre Kommunikation, beschäftigt sich nochmal eingehender mit diesem Thema.
Mitogene Signalübertragung
Neben DNA-Schäden ist eine überschießende mitogene (Zellteilung induzierende) Signalübertragung mit Seneszenz verbunden. Mitogen kann man sich als MITOse GENerierend leichter merken. Mitose ist der Vorgang der Zellteilung. Es gibt eine ganze Menge dieser mitogenen oder auch onkogenen (krebs-erzeugenden) Veränderungen. Als Reaktion auf diese Signale kann in der Zelle Seneszenz ausgelöst werden. Auch hierfür gibt es reihenweise Mechanismen, der INK4a / ARF-Locus ist aber in der Bedeutsamkeit unübertroffen.
INK4a / ARF-Locus und p53
Nicht erschrecken, das Thema ist nicht annähernd so kompliziert, wie die Überschrift vermuten lässt. Das Ausmaß von p16INK4a (das Protein, welches auf Basis des INK4a Gens erzeugt wird) hängt mit dem chronologischen Alter in allen analysierten Geweben, sowohl bei Mäusen als auch beim Menschen zusammen. Diese kolossale Relevanz ist bemerkenswert. Der INK4a/ARF-Locus (Ort auf der DNA) wurde in einer Metaanalyse aus dem Jahr 2012 (höchste wissenschaftliche Evidenz) als der genomische Ort identifiziert, der mit der höchsten Anzahl altersassoziierter Pathologien verbunden ist. Dazu zählen verschiedene Arten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, grüner Star und die Alzheimer-Krankheit. p53 ist ein weiteres Protein, das Seneszenz induziert. „p“ steht im Rahmen der Nomenklatur immer für Protein.
Gegensätzlich, aber doch gleich?
Aufgrund der Seneszenz-induzierenden Funktion von p16INK4a und p53 stellten ForscherInnen die naheliegende Hypothese auf, dass die beiden Proteine zur physiologischen Alterung beitragen. Die altersfördernde Wirkung ist demnach zu vernachlässigen, wenn man die viel wichtigeren Vorteile bei der Tumorsuppression betrachtet. Tatsächlich ist die Thematik aber etwas komplizierter, was gegenläufige Forschungsergebnisse vermuten lassen. Bei aufgrund von ausgedehnten und anhaltenden Zellschäden vorzeitig gealterten Mäusen erreichte eine Eliminierung von p16INK4a und p53 eine Verbesserung der Gesamtfunktion des Organismus. In einem weiteren Experiment wiesen Mäuse mit einem leichten Anstieg der beiden Proteine eine längere Lebensdauer auf. Dieser Überlebensvorteil war größer, als ein geringeres Krebsauftreten vermuten lassen würde.
Die Aktivierung der beiden genannten Proteine ist somit im Hinblick auf die Entwicklung von Tumoren und damit Krebs eine vorteilhafte Reaktion. Dadurch wird die Ausbreitung von mutierten Zellen verhindert. Wenn Schäden aber um sich greifend sind und einen großen Anteil der Zellen unseres Körpers betreffen, dann kann der Körper nicht mehr mithalten: die Regenerationsfähigkeit erschöpft. Unter diesen Bedingungen ist die Aktivierung von INK4a / ARF nachteilig und Altern wird beschleunigt.
Viele Wege führen zum Gipfel
Zelluläre Seneszenz ist eine nützliche kompensatorische Reaktion auf Schäden, die aber auch das Altern beschleunigen und der Gesundheit abträglich sein kann, wenn sich Gewebe nicht mehr ausreichend erholen können. Letzten Endes existieren abgeleitet von Studien zwei konträre Interventionsansätze, die bis dato beide einen Beitrag zur Langlebigkeit leisten können. Zum einen hat eine Tumorsuppressorwirkung positive Effekte auf das Altern. Auf der anderen Seite zeigt die Eliminierung von seneszenten Zellen in Experimenten eine Verzögerung von altersbedingten Krankheiten. Weitere Forschung wird wegweisend sein bei der Frage, wo wir abbiegen müssen.
Es gibt also scheinbar mehrere seneszente Wege zum Gipfel des gesunden Alterns. Wenn dann oben die Aussicht aber für alle gleich ist, dann gewinnt die Forschung und letztendlich auch wir.
Im nächsten Artikel dieser Reihe geht es um das achte Kennzeichen des Alterns: die Stammzellenerschöpfung.
Aus der Serie: Hallmarks of Aging
Welche nicht sichtbaren Veränderungen passieren im Körper, wenn wir älter werden? Was sind die Gründe für Falten, grauen Star oder Bluthochdruck? Wir schauen uns in der Serie „Hallmarks of Aging“ die Kennzeichen des Alterns an: molekular, tiefgründig, verständlich.
López-Otín, C., Blasco, M. A., Partridge, L., Serrano, M., & Kroemer, G. (2013). The hallmarks of aging. Cell, 153(6), 1194–1217. https://doi.org/10.1016/j.cell.2013.05.039