Der Durchschnittserwachsene besteht aus der immensen Zahl von etwa 100 000 000 000 000 Zellen. Mit nur wenigen Ausnahmen wie beispielsweise reifen roten Blutkörperchen, besitzen alle diese Zellen einen Zellkern, in dem sich das menschliche Genom befindet. Diesen Begriff kennen wir bereits vom ersten Hallmark of Aging – der genomischen Instabilität. Demnach ist das Genom ein Begriff, der vereinfacht die Gesamtheit der vererbbaren Informationen eines Individuums bezeichnet. Das sind Informationen für die Herstellung von Proteinen, die das Erscheinungsbild des Körpers mitbestimmen und verändern. Hier spielt die Epigenetik mit hinein. Im Alter passieren epigenetische Veränderungen.
Was macht die Epigenetik?
In jeder Zelle befindet sich ein- und dieselbe Erbinformation. Wie kann es dann sein, dass manche Zellen zu Muskelzellen werden und andere widerrum zu Hautzellen? Die Antwort liegt im Zellkern versteckt.
Wir Menschen besitzen nämlich nicht nur ein Genom, sondern auch ein Epigenom. Das Epigenom ist eine Sammlung chemischer Veränderungen an der DNA, die praktisch wie ein Schalter funktioniert. Viele Gene besitzen einen solchen Schalter. Ist der Schalter ON, dann wird das Gen „exprimiert“, sprich: der Bauplan wird in die Tat umgesetzt und damit das gewünschte Protein hergestellt. Ist das Gen abgeschaltet (OFF), wird es als stumm angesehen und kein Protein erzeugt.
Original: Agathman – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Textbausteine übersetzt und verändert;
Exkurs: Vielfalt der Gene
Jedes Gen beinhaltet den Bauplan für eines oder mehrere Proteine. Ermöglicht wird dies durch einen Prozess namens „alternatives Spleißen“. Das bedeutet, dass nicht immer die gesamte Information auf einem Gen abgelesen bzw. verwendet wird, sondern für manche Proteine nur Teile davon (siehe Bild: rot-gelb-blau vs. rot-grün-blau).
Dementsprechend übersteigt die Anzahl der Proteine die Anzahl der Gene deutlich: Geht die Wissenschaft heute von 20.000 bis 25.000 menschlichen Genen aus, so wird die Anzahl der Proteine beim Menschen auf 80.000 bis 400.000 geschätzt. Genauere Aussagen sind derzeit schwer möglich, weil die Forschung von der Entschlüsselung aller Proteine noch weit entfernt ist.
Die Epigenetik, auch epigenetische Fixierung oder epigenetische Prägung bezeichnet, ist damit der Grund, warum sich aus Zellen mit gleichen Voraussetzungen unterschiedliche Zelltypen entwickeln. Sie haben alle dasselbe Genom, aber verschiedene Epigenome, die ihnen sagen, welche Proteine produziert werden müssen und welche Art von Zellen sie letzten Endes sein müssen.
Die Rolle der epigenetischen Fixierung

Zusätzlich dazu ist Epigenetik, zumindest laut dem aktuellen Forschungsstand, teilweise vererblich. Diesbezüglich sind noch weitere Bemühungen nötig, um das Verständnis der dahinterstehenden Prozesse zu vertiefen. (https://www.mpg.de/11821815/mpiib_jb_2017).
Epigenetische Veränderungen und Altern
Das Epigenom verändert sich, im Gegensatz zur starren DNA-Matrize des Genoms, zeitlebens. Veränderungen treten beispielsweise während der physiologischen Entwicklung auf, aber auch Umweltfaktoren wie Stress, Krankheit oder Ernährung wirken sich aus und nicht alle Veränderungen sind zum Besten. Unterschiedliche Einrichtungen der Epigenetik verursachen die Veränderungen. Diese Komplexität ist auch der Grund, weshalb wir unsere Aufmerksamkeit exemplarisch nur einem, dafür aber sehr wichtigen epigenetischen Mechanismus zuwenden: der DNA-Methylierung.
Dieses Fremdwort bezeichnet die Übertragung von speziellen chemischen Molekülen, den Methylgruppen (Sechsecke im Bild), auf die DNA. Die restlichen chemischen Spitzfindigkeiten lassen wir, aus Gründen der Verständlichkeit, weg. Als Folge des Anbringens von diesen chemischen Gruppen, verändert sich die Architektur der DNA. Wohingegen beim Hausbau dann die Stabilität leidet, ist bei der DNA das Ablesen von Proteinen nur mehr verändert möglich.
Chemische Reaktionen im Körper, und damit auch die Übertragung von Methylgruppen, benötigen in der Regel die Anwesenheit von Enzymen, da diese die optimalen Voraussetzungen schaffen. Entsprechend sind auch hier Enzyme nötig, die sogenannten DNA-Methyltransferasen (Enzyme, die die Methylgruppen auf die DNA übertragen). Was hat dieser doch recht komplizierte Input jetzt mit der Alterung zu tun?
Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass mit fortlaufender Zeit immer mehr Methylgruppen an die DNA binden. Epigenetische Veränderungen nehmen mit dem Alter also in Summe zu – ein Umstand, den sich die Horvath-Clock zunutze macht. Zu diesem Thema gibt es bereits eine spannende Ausarbeitung in unserem Magazin.
Progerie und DNA-Methylierung
WissenschaftlerInnen haben sich nun Mäuse und PatientInnen, die an Progerie leiden, genauer angesehen. Nochmal zur Erinnerung: Progerie ist eine Gruppe von Erkrankungen mit eklatant (bis zu 10-fach) erhöhter Alterungsgeschwindigkeit. So ist es zum Beispiel möglich, dass ein zehnjähriges Mädchen mit Progerie ein biologisches Alter von 70 Jahren aufweist. Mehr Details zur Progerien finden Sie beim ersten Kennzeichen: der genomischen Instabilität.
Bei diesen Personen und ebenfalls betroffenen Mäusen fanden ForscherInnen in großen Teilen ähnliche Methylierungsmuster, wie bei gesunden Personen in hohem Lebensalter. Ein Zusammenhang zwischen DNA-Methylierung und dem Alter ist also bereits präsent. Offen ist noch ein direkter experimenteller Nachweis dafür, dass die Lebensdauer des Organismus durch Veränderung der DNA-Methylierungsmuster verlängert werden kann.
Ausblick
Im Gegensatz zu DNA-Mutationen sind epigenetische Veränderungen – zumindest theoretisch – reversibel. Auf Basis dieser Tatsache ergeben sich Möglichkeiten für die Entwicklung von neuen Anti-Aging-Behandlungen. Die Gesamtheit der gegenwärtigen wissenschaftlichen Evidenz legt nahe, dass das Verständnis und die Manipulation des Epigenoms vielversprechend für die Verbesserung von altersbedingten Pathologien ist. Damit untrennbar verbunden ist eine Verlängerung der gesunden Lebensdauer.
Betrachtet man die enorme Komplexität der Epigenetik auf der einen Seite und den aktuellen Forschungsstand auf der anderen Seite, dann stellt man allerdings fest, dass die Bemühungen, speziell im Hinblick auf den Menschen, noch in den Kinderschuhen stecken. Die nächsten Jahre und Jahrzehnte zeigen, inwiefern sich daraus handfeste Ansatzpunkte für Anti-Aging und Prävention ableiten lassen. Schließlich ist Forschung keine Einbahnstraße in Richtung Erfolg – bestimmt aber eine in Richtung Verständnis und Aufklärung.
Im nächsten Artikel dieser Reihe geht es um das vierte Kennzeichen des Alterns: Verlust der Proteostase.
Aus der Serie: Hallmarks of Aging
Welche nicht sichtbaren Veränderungen passieren im Körper, wenn wir älter werden? Was sind die Gründe für Falten, grauen Star oder Bluthochdruck? Wir schauen uns in der Serie „Hallmarks of Aging“ die Kennzeichen des Alterns an: molekular, tiefgründig, verständlich.
López-Otín, C., Blasco, M. A., Partridge, L., Serrano, M., & Kroemer, G. (2013). The hallmarks of aging. Cell, 153(6), 1194–1217. https://doi.org/10.1016/j.cell.2013.05.039