Longevity, Magazin

1. Genomische Instabilität

Das Genom ist ein Begriff, der vereinfacht die Gesamtheit der vererbbaren Informationen eines Individuums bezeichnet. Es handelt sich dabei um Informationen für die Herstellung von Proteinen, die auf vielfältige Weise das Erscheinungsbild des Körpers mitbestimmen und verändern können. Die DNA als Speicherort dieser Informationen ist damit ähnlich eines Bauplans für den Körper. Aus diesem Grund ist der möglichst fehlerlose Erhalt der DNA Imperativ für jede einzelne Zelle. Denn: Fehlen hier gewisse Teile, ergibt der ganze Plan mitunter keinen Sinn. Bei gesunden Menschen können derartige Veränderungen vom Körper in jungen Jahren besser repariert werden als in späteren Lebensphasen. Dieser Umstand erklärt auch die Tatsache, dass sich genetische Störungen im Alter häufen. Genomische Instabilität ist allerdings zeitlebens ein Thema.

Fakt ist, dass die Integrität und Stabilität der DNA kontinuierlich in Frage gestellt werden. Die Angriffe erfolgen seitens äußerlicher (exogener) und körpereigener (endogener) Bedrohungen.

Äußere Bedrohungen

Zu den Bedrohungen äußeren Ursprungs zählen chemische oder biologische Wirkstoffe und damit beispielsweise Medikamente. Zusätzlich dazu kann auch die Physik über das UV-Licht, im Speziellen UV-C Licht, der DNA schaden.

Bild: By Mrmw – This file was derived from: DNA UV mutation.svg:, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=90042281

Innere Bedrohungen

Kommen wir zu den Bedrohungen körpereigenen Ursprungs. Im Rahmen der Zellteilung entstehen aus einer Zelle zwei Tochterzellen. Beide Tochterzellen müssen naturgemäß dieselbe genetische Information erhalten, damit sie sich ihrer Bestimmung entsprechend entfalten können. Dafür verdoppelt sich die DNA im Laufe der Zellteilung (Replikation) und teilt sich dann gleichmäßig auf die zwei neuen entstehenden Zellen auf. Dabei entstehen teilweise sogenannte DNA-Replikationsfehler, beispielsweise falsche Paarungen zwischen den zwei Strängen. Das ist suboptimal, aber der Körper ist darauf vorbereitet.

Die Zellteilung ist als Zyklus organisiert und in diesen Zyklus sind Kontrollstationen eingebaut. Wenn ein Fehler entdeckt wird, dann stoppt die Zellteilung und der Fehler wird im besten Fall repariert. Für den Fall, dass das Reparatursystem den Schaden nicht beheben kann, wird die Zelle in den Zustand der Seneszenz versetzt. Die Seneszenz ist in unserer Chronologie das siebte Kennzeichen des Alterns und wird in einem separaten Artikel beleuchtet.

Weiters entstehen bei Stoffwechselvorgängen im Körper unter Umständen freie Radikale. Das sind besonders reaktionsfreudige Moleküle, die das Reaktionsgleichgewicht stören und damit dem Körper dienliche Reaktionen behindern können. Handelt es sich dabei um ein Sauerstoffmolekül, bezeichnet man diese Moleküle im Fachjargon als reaktive Sauerstoffspezies. Auch darauf hat der Körper eine Antwort parat, denn Antioxidantien (Artikel: Antioxidantien und die Beziehungspolizei) können diese Störenfriede können in einem gewissen Ausmaß neutralisieren.

Genomische Instabilität & Defekte der Kernhülle

Die genannten Schäden, egal ob äußeren oder inneren Ursprungs, zählen zu den direkten Läsionen unseres Bauplans, der DNA. Zusätzlich dazu, können Defekte der Zellkernarchitektur ebenfalls eine Instabilität des Genoms verursachen.
Das funktioniert wie folgt.

Der Zellkern ist ein eigener, von einer Hülle umgebener Raum und der Ort in der Zelle, wo die DNA beheimatet ist. Die Hülle des Zellkerns wird aus vielen unterschiedlichen Proteinen aufgebaut, darunter Proteine aus der Lamin-Familie. „lamina“ ist lateinisch und steht für Platte, Scheibe oder Schicht. Diese „Schicht-Proteine“ müssen korrekt gebildet werden, damit die Hülle ordnungsgemäß funktioniert. Es verhält sich hier ähnlich wie bei einem Hausdach, welches weder zu starr noch zu weich sein darf, um die Lasten bestmöglich zu verteilen. Tritt im Zusammenhang mit diesen „Schicht-Proteinen“ der Kernhülle ein Problem auf, wird das Genom instabil. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass die DNA mit der Kernhülle über Moleküle in Verbindung steht.

Schauen wir uns ein reales Beispiel an. Es gibt Menschen, die nur eine verkürzte Form eines speziellen Lamins bilden können. Das verkürzte Protein wird als Progerin bezeichnet. Dementsprechend bezeichnet man die Krankheit als Progerie (=beschleunigtes Altern). Bei diesen Menschen ist die Kernhülle nicht ausreichend stabil (siehe Bild). Das Ergebnis ist eine fünf- bis zehnfach erhöhte Alterungsgeschwindigkeit. Betroffene sterben häufig schon im Kindes- bzw. Jugendalter.

Bild: Scaffidi P, Gordon L, Misteli T (2005) The Cell Nucleus and Aging: Tantalizing Clues and Hopeful Promises. PLoS Biol 3(11): e395. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.0030395

Genomische Instabilität in der Zukunft

Auch wenn Progerien außerordentlich seltene Erkrankungen sind mit einer Häufigkeit von 1:1 Million, ist der zugrundeliegende Defekt auch für jeden einzelnen von uns relevant. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wiesen nach, dass es auch bei Menschen mit normalem Alterungsprozess zur Bildung Progerin kommt, welches die Kernarchitektur stört.

Das Genom ist also praktisch ständig instabil aufgrund der genannten Einflüsse. Kein Mensch ist davon ausgenommen. Der Körper als Mann oder Frau für alle Fälle ist auf viele dieser Herausforderungen vorbereitet. Allerdings funktionieren die Bemühungen, die Instabilität in Schach zu halten bzw. zu reparieren, mit zunehmendem Alter nur mehr suboptimal. Beispielsweise entstehen aus anfänglich kleinen Mikrorissen ganze Krater – unsere Haut wird faltig.

Die gute Nachricht ist, dass das Ausmaß individuell unterschiedlich und, wenn es nach Meinung der Anti-Aging-Forschung geht, nicht endgültig ist.

Im nächsten Artikel dieser Reihe geht es um das zweite Kennzeichen des Alterns: den Telomerabrieb.

Aus der Serie: Hallmarks of Aging
Welche nicht sichtbaren Veränderungen passieren im Körper, wenn wir älter werden? Was sind die Gründe für Falten, grauen Star oder Bluthochdruck? Wir schauen uns in der Serie „Hallmarks of Aging“ die Kennzeichen des Alterns an: molekular, tiefgründig, verständlich.

López-Otín, C., Blasco, M. A., Partridge, L., Serrano, M., & Kroemer, G. (2013). The hallmarks of aging. Cell, 153(6), 1194–1217. https://doi.org/10.1016/j.cell.2013.05.039

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