Die Vorstellung von Altern erstreckt sich von faltiger Haut, über abnehmende Leistungsfähigkeit und Haarausfall bis hin zur Vergesslichkeit. Es handelt sich also um einen sehr breit definierten Begriff. Das ist auch wenig verwunderlich, wenn man sich vor Augen hält, wie unterschiedlich sich der Prozess bei Menschen äußert. Alle beschriebenen Vorgänge sind jedoch lediglich der Endzustand einer Reihe von Reaktionen und Gegebenheiten in unserem Körper. Otto Normalverbraucher gibt sich möglicherweise mit dieser oberflächlichen Betrachtungsweise zufrieden, ganz im Gegensatz zur Wissenschaft. Forscherinnen und Forscher rund um den Globus versuchen die Prozesse zu entschlüsseln, die hinter unseren Falten und unserer zunehmend schlechteren Leistungsfähigkeit in höherem Alter stehen.
In dieser Hinsicht ist Wissenschaft eine Art Konstrukt, welches sich mit dem Status Quo nicht zufriedengibt, sondern stetig nach neuem Erkenntnisgewinn strebt. Vielfach mündet ebendieser Ansatz in folgender Auffassung:
“Wenn man versteht, wie etwas funktioniert, dann kann man auch versuchen es zu ändern.”
Das ist im Anti-Aging Bereich nicht anders. Eine Gruppe rund um den Forscher Carlos López-Otín hat in einem vielbeachteten Artikel neun Kennzeichen (Hallmarks of Aging) des Alterns beschrieben. Nachstehend wird jedes einzelne Kennzeichen kurz einleitend erläutert. In einer darauffolgenden Artikelreihe wird jedes Hallmark eingehend beleuchtet.
1. Genomische Instabilität
Die DNA ist ähnlich eines Bauplans für den Körper – wenn gewisse Seiten fehlen, ergibt das ganze Buch bzw. der ganze Plan mitunter keinen Sinn. Derartige Veränderungen können vom Körper in jungen Jahren besser repariert werden als in späteren Lebensphasen. Zudem kommt es im Alter zu einer gesteigerten Fehleranfälligkeit.
2. Telomerabrieb
Die DNA ist per se kein einzelnes großes Buch, sondern die Erbinformation ist auf 23 kleinere Büchlein (Chromosomen) aufgeteilt. Jede einzelne Zelle ist mit dieser kleinen Bibliothek (Genom) ausgestattet. Das letzte Kapitel dieser „Büchlein“ ist besonders und wird als Telomer bezeichnet. Hier ist keine Information mehr codiert, sondern die Telomere fungieren als Abbauschutz für die DNA. Die Telomere werden naturgemäß mit jeder Zellteilung kürzer. Sobald eine gewisse Schwelle (Hayflick-Limit) erreicht ist, erliegt dann die Zellfunktion.
3. Epigenetische Veränderungen
Epigenetik versucht zu erklären, welche Faktoren die Aktivität eines Gens und in der Folge die Entwicklung der Zelle zeitweilig festlegen. Diese Faktoren beruhen jedoch nicht auf eventuellen Änderungen in der Erbinformation (Beispiel: Mutationen), sondern auf unterschiedlichen kleinen Proteinen, die an die DNA binden können. In der Folge kann die Bindung eines oder auch mehrere Gene in der Aktivität (mehr oder weniger) beeinflussen. Zudem ist die Epigenetik an der Entwicklung bzw. Differenzierung der Zellen beteiligt.
4. Verlust der Proteostase
Proteostase setzt sich aus den beiden Begriffen Proteom (Gesamtheit der Proteine, die im Körper produziert werden können) und Homöostase (Gleichgewicht) zusammen. Geht bei der Regulation der Proteine etwas schief, können einzelne Proteine garnicht oder teilweise sogar vermehrt auftreten. Dies beeinflusst wiederrum die Funktionalität der Zellen. Der genannte Vorgang spielt bei bekannten Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson eine Rolle.
5. Deregulierte Nährstoffmessung & Fasten
Bei diesem Kennzeichen ist die Reaktion des Körpers auf Nahrungszufuhr relevant. Dessen Regulation erfolgt im Zusammenspiel mit Wachstumshormon und weiteren Hormonen. Hier ist unter anderem Kalorienrestriktion und Fasten von Bedeutung. Weiters beschäftigen wir uns mit Autophagie und speziellen Langlebigkeitsgenen: den Sirtuinen.
6. Mitochondriale Dysfunktion & Mitohormesis
Mit ansteigendem Alter von Zellen und Organismen nimmt die Wirksamkeit der Atmungskette (Energiebereitstellung im Mitochondrium) tendenziell ab. Diese Erkenntnis gründet auf zwei Mechanismen. Zum einen gehen Elektronen verloren und zum anderen verringert sich die ATP-Erzeugung. ATP ist der wichtigste Energieträger in unserem Körper. In diesem Zusammenhang lernen wir auch den Begriff Mitohormesis kennen.
7. Zelluläre Seneszenz
Zelluläre Seneszenz beschreibt den Zustand eines stillstehenden Zellzyklus. Das bedeutet, dass die Zelle ihre Funktionalität herunterfährt und sich auch nicht mehr teilen kann. Dieser Stillstand ist häufig ausgelöst durch DNA-Veränderungen. Es handelt sich dabei in gewisser Weise um einen Schutzmechanismus. Dieser Schutzmechanismus ist gut gemeint, speziell im Alter aber manchmal schlecht getroffen.
8. Stammzellenerschöpfung
Mit dem Alter vermindert sich die Fähigkeit der Stammzellen sich zu teilen – sie werden „erschöpft“. Als Resultat können kaputte oder geschädigte Zellen nicht mehr erneuert werden. Das führt letztendlich dazu, dass sich die unterschiedlichsten Gewebe nicht mehr adäquat regenerieren bzw. erholen können.
9. Veränderte interzelluläre Kommunikation
Dieses Kennzeichen blickt über die zellautonome Ebene hinaus. Altern beinhaltet auch Veränderungen bei der Kommunikation von Zellen untereinander. Eine zunehmende Entzündungsreaktion und eine abnehmende Immunüberwachung sind exemplarische Folgen dieses Faktors mit teils drastischen Auswirkungen auf das physiologische Altern.
Auf den ersten Blick klingt das alles sehr wissenschaftlich, undurchsichtig und erstmal wenig verständlich – lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Wir werden uns nun in einer Artikelreihe jedes der Hallmarks of Aging einzeln genauer anschauen, mit dem Ziel, die Grundlagen des Älter werdens zu begreifen und verstehen zu lernen.
Eines kann ich Ihnen versprechen: Der Einblick in die Basis der körperlichen Funktionen ist absolut erfüllend.
Aus der Serie: Hallmarks of Aging
Welche nicht sichtbaren Veränderungen passieren im Körper, wenn wir älter werden? Was sind die Gründe für Falten, grauen Star oder Bluthochdruck? Wir schauen uns in der Serie „Hallmarks of Aging“ die Kennzeichen des Alterns an: molekular, tiefgründig, verständlich.
López-Otín, C., Blasco, M. A., Partridge, L., Serrano, M., & Kroemer, G. (2013). The hallmarks of aging. Cell, 153(6), 1194–1217. https://doi.org/10.1016/j.cell.2013.05.039