Als erstes Kennzeichen haben wir die genomische Instabilität kennengelernt. Diese Anhäufung von DNA-Schäden mit dem Alter scheint unsere Erbinformation beinahe zufällig zu beeinflussen. Je nachdem wo Schädigungen auftreten, ergeben sich unterschiedliche Zustandsbilder. Bekanntlich reicht das Spektrum von Hautkrebs durch UV-Schädigung bis hin zu Krankheiten mit akzelerierter Alterung durch Defekte in der Kernhülle. Etwas spezifischere Lokalisationen entlang der DNA sind nun die Telomere. Schäden in diesen Abschnitten bzw. Telomerabrieb bedingen charakteristische Veränderungen. Welche? Dazu später mehr. Zunächst gehen wir ein paar Schritte zurück und damit zu den Grundlagen.
Was ist ein Telomer?
In fast jeder Zelle unseres Körpers befindet sich im Zellkern die DNA (zu deutsch: DNS). DesoxyriboNukleinSäure, wie es ausgeschrieben heißt, wird stark vereinfacht als Buch betrachtet, in dem die Erbinformation niedergeschrieben ist. Gibt man sich mit dieser doch recht oberflächlichen Betrachtung nicht zufrieden, stellt man fest, dass die DNA per se kein einzelnes großes Buch ist, sondern eher eine kleine Bibliothek. Diese Bibliothek umfasst bei gesunden Menschen 23 Bücher – die sogenannten Chromosomen. Im Lichtmikroskop bietet sich folgendes Bild, wenn man sich die DNA einer Zelle anschaut:

Erbgut einer menschlichen weiblichen Lymphozytenzelle während der Zellteilung.
Von Steffen Dietzel – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1369763
In dem gezeigten Bild kann man die typische Form der Bücher (unserer Chromosomen) nur bedingt nachvollziehen. Folgendes Schemabild kann uns an der Stelle weiterhelfen:

Telomere sind Schutzkappen an den Chromosomenenden (Cell = Zelle, Nucleus = Zellkern)
Das Beste kommt zum Schluss
Das letzte Kapitel dieser Bücher ist besonders und wird als Telomer bezeichnet. Hier ist keine Information für Proteine mehr codiert bzw. gespeichert, sondern die Telomere fungieren als Abbauschutz für die DNA. Jedes Mal, wenn die DNA im Rahmen der Zellteilung verdoppelt wird, verkürzen sich die Telomere. Der Grund dafür ist sehr komplex und würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Wichtig ist nur, dass die Verkürzung der Telomere ein normaler physiologischer Prozess ist, der bei allen Menschen in den meisten Zellen auftritt.
Im Laufe der Zeit passiert dann folgendes: Ab einer gewissen Anzahl von DNA-Verdopplungen ist eine Schwelle erreicht und die Telomere sind aufgebraucht. Dieser Umstand führt zum Erliegen der Zellfunktion, sowie zur Teilungsunfähigkeit. Leonard Hayflick hat diese Schwelle entdeckt und seither trägt sie den Namen „Hayflick-Limit“. Die Erschöpfung der Telomere erklärt somit die beschränkte Teilungsfähigkeit von Zellen und damit auch teilweise das begrenzte Regenerationspotential von Geweben. In Hayflicks‘ Experiment hat sich eine durchschnittliche menschliche Zelle übrigens ca. 52-mal geteilt.
Telomerase als Schlüssel zur Unsterblichkeit?
Was ist jedoch mit den restlichen Zellen, die von dieser Telomerverkürzung nicht betroffen sind? Nun, diese besitzen ein Enzym namens Telomerase, welches die Telomere wieder verlängern kann. Dieses Enzym verleiht einer Zelle damit praktisch Unsterblichkeit. Aha! Dann müssen ForscherInnen es also nur mehr schaffen, in jeder Zelle diese Telomerase einzuschleusen, oder? Wie immer in der Wissenschaft ist es dann doch nicht so simpel, schließlich hat sich die Natur etwas dabei gedacht, nicht alle Zellen damit auszustatten.
Denken wir an das erste Kennzeichen zurück – die genomische Instabilität. Ununterbrochen prasselt ein Nieselregen von äußeren und inneren Einflüssen auf unsere Erbinformation ein und bedroht damit die Integrität der DNA. Als Folge entstehen in jeder Sekunde überall in unserem Körper Mutationen und DNA-Veränderungen, die zwar überwiegend, jedoch nicht vollständig vom sehr umfangreichen Reparatursystem ausgebessert werden können. Wenn jetzt Zellen mit unreparierten genetischen Mutationen das Enzym Telomerase besäßen, dann würde sich die veränderte Zelle munter weiterteilen können. Das Resultat ist ein zunehmend größerer Haufen völlig entarteter Zellen, besser bekannt als Krebs – durchaus also ein zweischneidiges Schwert.
Zu den Telomerase-privilegierten Zellen zählen beispielsweise Stammzellen oder Knochenmarkszellen, welche meist an geschützten Stellen im Körper liegen. Darüber hinaus werden sie durch verschiedenste Eigenschaften und Mechanismen so gut wie möglich vor schädlichen Einflüssen auf deren DNA geschützt – sehr viel besser als der Großteil der anderen Zellen. Dementsprechend ist das Entartungsrisiko deutlich herabgesetzt.
DNA-Reparatur – gut gemeint, schlecht getroffen
Um einen weiteren Faktor oder besser, um ein weiteres Protein muss unsere Vorstellung von Telomeren nun noch erweitert werden. Wir wissen bereits, dass die DNA kein durchlaufender Strang ist, sondern in Chromosomen aufgeteilt vorliegt, an dessen Ende sich die Telomere befinden. Telomere sind also, wenn man es so betrachtet, DNA-Strangbrüche – Stellen, an denen die DNA endet. Bekanntlich erkennt diese in der Regel sofort das Reparatursystem in seinem Bestreben, keine losen DNA-Enden zuzulassen und bessert sie aus. Gut gemeint, im Fall der Telomere aber schlecht getroffen. Die genannte Reparatur darf bei Telomeren auf keinen Fall stattfinden, da so unter Umständen zwei Chromosomen miteinander verbunden werden können. Passiert das und die Zelle möchte sich später teilen, dann kommt es zu schädlichen „Chromosomenbrüchen“ – das Erbgut wird ungleich auf die Tochterzellen verteilt. Sowohl ein zu viel als auch ein zu wenig an Erbinformation behindert dann die Zellfunktion.
Shelterin – trügt der Name?
Wie so oft ist die Natur zur Stelle, denn wir Menschen und auch einige andere Organismen besitzen Shelterin. Shelterin ist ein Komplex von sechs Proteinen, der an Telomere bindet und sie vor dem Reparatursystem schützt (engl. „shelter“). Damit ist das große Problem der Chromosomenbrüche und der drohenden Entartung von Zellen – funktionierendes Shelterin vorausgesetzt – erstmal gelöst. Nun sind Telomere vor DNA-Schäden, wie wir sie im Rahmen der genomischen Instabilität kennengelernt haben, jedoch nicht gefeit. Da durch Shelterin Telomere für die DNA-Mechaniker unsichtbar sind, können auch tatsächliche DNA-Schäden nicht repariert werden. Das klingt erstmal nicht gut, führt der genannte Umstand doch zu immer mehr Schäden, die über die Zeit zu Seneszenz und Zelltod beitragen können.
Seneszenz beschreibt den Zustand des stillstehenden Zellzyklus und wird als Kennzeichen Nr. 7 in einem eigenen Artikel behandelt. DNA-Schäden im Bereich der Telomere sind aber nicht außerordentlich schlimm, da es sich um eine nicht-codierende Region handelt, sprich es wird keine Information für den Bau von Proteinen abgelesen.
Lange Rede, kurzer Sinn
Shelterin schützt uns vor dem größeren Übel. Der Verlust von einigen wenigen Zellen ist ein kleineres Problem als das von entarteten Zellen und Chromosomenbrüchen. Fehlt Shelterin oder Teile davon, wurde ein rascher Rückgang der Regenerationskapazität und eine beschleunigte Alterung festgestellt – ein Phänomen, das auch dann auftritt, wenn Telomere eigentlich eine normale Länge haben.
Neben Shelterinmangel führt auch Telomerasemangel zu einer vorzeitigen Entwicklung von Krankheiten. Im Speziellen ist Lungenverhärtung (Fachbegriff: Lungenfibrose), Blutarmut mit Verminderung aller Blutzellen (Fachbegriff: aplastische Anämie) und eine seltene Hautkrankheit namens Dyskeratosis congenita gemeint. Alle drei Krankheiten haben den Verlust der Regenerationskapazität verschiedener Gewebe zur Folge. Außerdem konnte in zusammengefassten Studien ein Zusammenhang zwischen kurzen Telomeren und Sterberisiko gezeigt werden, speziell in jungen Jahren (https://doi.org/10.1111/acel.12050).
Alles ist möglich aber nix ist fix
In Mausexperimenten konnten bereits erste Erfolge erzielt werden. Beispielsweise wurde die Telomerase bei vorzeitig gealterten Mäusen mit einem Telomerase-Mangel erfolgreich genetisch reaktiviert (https://doi.org/10.1038/nature09603). Ein weiteres Experiment zeigte eine Verzögerung des normalen Alterns, ohne Erhöhung des Krebsauftretens, durch pharmakologische Aktivierung (https://doi.org/10.1002/emmm.201200245).
Die nächsten Jahre und Jahrzehnte werden zeigen, ob unsere Zukunft im Hinblick auf die Telomerforschung genauso rosig aussieht, wie die der Mäuse.
Im nächsten Artikel dieser Reihe geht es um das dritte Kennzeichen des Alterns: epigenetische Veränderungen.
Aus der Serie: Hallmarks of Aging
Welche nicht sichtbaren Veränderungen passieren im Körper, wenn wir älter werden? Was sind die Gründe für Falten, grauen Star oder Bluthochdruck? Wir schauen uns in der Serie „Hallmarks of Aging“ die Kennzeichen des Alterns an: molekular, tiefgründig, verständlich.
López-Otín, C., Blasco, M. A., Partridge, L., Serrano, M., & Kroemer, G. (2013). The hallmarks of aging. Cell, 153(6), 1194–1217. https://doi.org/10.1016/j.cell.2013.05.039