Zur leichteren Bekömmlichkeit, dieses zugegebenermaßen schwierigen Themas, empfiehlt es sich vorab den Artikel „Langlebigkeitspfade – vier molekulare Wege zum Jungbrunnen” zu lesen.
Es ist keine wirklich bahnbrechende Neuigkeit, dass gewisse Formen des Fastens und der kalorischen Restriktion gesund für den Körper sind. Dass diese Erkenntnis auch eine weitreichende Bedeutung für die Allgemeinheit hat, belegt der im Jahr 2016 verliehene Nobelpreis für Physiologie und Medizin. Yoshinori Ohsumi, ein japanischer Zellbiologe, erhielt die prestigeträchtige Auszeichnung für seine Errungenschaften rund um das erweiterte Verständnis der Autophagie. Dabei handelt es sich um einen Prozess, bei dem beschädigte Zellbestandteile abgebaut werden, wenn Zellen eine gewisse Zeit lang „hungern“. Dadurch erlangen gealterte Zellen ihre Funktionsfähigkeit zurück – eine Art Recyclingprogramm also.
Fasten meint aber mehr als Autophagie. In Analogie zum Eisbergmodell von Paul Watzlawick, wonach sich der überwiegende Anteil eines Eisbergs unter der Wasseroberfläche befindet, liegt auch in der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Fasten und Langlebigkeit eine Menge in den Untiefen der Molekularität verborgen. Na dann, ab in die Tiefe!
Der Fasten-Eisberg
Hormone und ihre Achsen
Im Körper gibt es unzählige Hormone, die Prozesse wie Muskelwachstum, Menstruation oder Verdauung steuern. Meistens entfalten Hormone ihre Wirkung jedoch nicht direkt. Sie sind sehr häufig entlang von sogenannten Achsen bzw. Pfaden organisiert, was bedeutet, dass ein Hormon ein weiteres Hormon stimuliert und so weiter bis hin zum Endorgan, an dem ein Hormon dann seine Wirkung entfaltet (in den genannten Beispielen wären das die Muskeln, Gebärmutter und Darm).
Die somatotrope Achse: GH und IGF-1
Inmitten dieser Pluralität ist die somatotrope Achse für uns hier von besonderer Bedeutung. Diese umfasst das Wachstumshormon (GH, von engl. growth hormone) welches von der Hirnanhangsdrüse produziert wird und den Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor (IGF-1, von engl. insulin-like growth factor). Im Rahmen der somatotropen Achse wird nun von der Hirnanhangsdrüse GH ausgeschüttet und dieses widerrum regt Zellen (vor allem Leberzellen) an, IGF-1 zu produzieren. Die Signalweiterleitung innerhalb der Zelle von IGF-1 ist die gleiche wie die durch Insulin ausgelöste, die die Zellen über das Vorhandensein von Glucose (Zucker) informiert – daher hat IGF-1 den charakteristischen Namen.
Wenn wir also etwas essen, dann steigt zwangsläufig der Blutzucker und damit auch IGF-1 und Insulin. Dieser gemeinsame Signalweg ist der am besten erhaltene Weg zur Kontrolle des Alterns. Zu den Zielen gehören die FOXO-Familie von Transkiptionsfaktoren (werden gehemmt) und die mTOR-Komplexe (werden gefördert), die ebenfalls am Altern beteiligt sind und durch die Evolution konserviert wurden.
Exkurs: Evolutionäre Konservierung
Die evolutionäre Konservierung hat nichts mit der Konservierung von Lebensmitteln zu tun, ähnelt in der Wortbedeutung aber dem uns bekannten Begriff. Genauer: In der Evolution herrscht ständig Selektionsdruck und nur die funktionalsten Organismen überleben. Wenn gewisse genetische Sequenzen oder Signalwege über Jahrmillionen hinweg auftreten, dann bedeutet das, dass ein Organismus dadurch einen Selektionsvorteil erhält und die anderen aussterben. Heutzutage ist dieser Selektionsdruck durch die hoch entwickelten medizinischen Möglichkeiten etwas außer Kraft gesetzt. Wer in der Steinzeit einen Herzinfarkt hatte starb mit ziemlicher Sicherheit – heute gibt es die Intensivmedizin und eine Reihe von Medikamenten, die das verhindern.
Studien haben nun in diesem Zusammenhang einige interessante Erkenntnisse gemacht. Kleine genetische Mutationen, die die Funktion von IGF-1 verringern, wurden mit der Langlebigkeit sowohl beim Menschen als auch bei Modellorganismen in Verbindung gebracht. Das ist bemerkenswert und zeigt auch die Bedeutung von solchen Pfaden für ein langes und gesundes Leben auf.
IGF-1 Signalweg
In zahlreichen Studien wurde immer wieder folgendes Ergebnis repliziert: Eine Abschwächung des IGF-1 Signalwegs verlängert konsistent die Lebensdauer von beispielsweise Fliegen, Würmern und auch Mäusen. Das hat unter anderem mit dem Transkriptionsfaktor FOXO zu tun, der auch breit untersucht wurde. Unter normalen Umständen hemmt IGF-1 die FOXO-Familie und die Transkiptionsfaktoren können deshalb ihre Wirkung nicht entfalten. Ist nun der IGF-1 Signalweg gehemmt, dann kann FOXO arbeiten und dafür sorgen, dass ausgehend von der DNA Proteine hergestellt werden, die dem Alterungsprozess entgegenwirken.
Das Paradoxon
Es wäre allerdings zu einfach, wenn das schon alles gewesen wäre. Wenn wir älter werden, dann würden wir auf Basis der obigen Erkenntnisse erwarten, dass wir einen hohen IGF-1 Spiegel finden, da dieser Signalweg unter anderem ursächlich für das Altern ist. Genau hier kommt die Krux. Einige andere Studien beschrieben nämlich, dass während dem normalen Alterungsprozess GH und IGF-1 Spiegel sinken. Auch bei Mäusen mit beschleunigter Alterung nahm die Konzentration ab. Also, war doch alles nur Schall und Rauch?
Nicht wenn es nach Vertretern von folgender Theorie geht. Demnach können Organismen mit niedrigerer IGF-1 Funktionalität im Alter länger überleben, weil es dadurch zu einem langsameren Zellwachstum und einem gemächlicheren Stoffwechsel kommt. Das bedeutet schlussendlich weniger Zellschaden, was widerrum gut für uns ist. Der Körper hilft sich also abermals selbst, indem er den Signalweg einfach mit dem Alter herunterregelt, um Schäden gering zu halten. Wie so oft sind auch die Balancefähigkeiten unseres Körpers gefragt, denn extrem niedrige IGF-1 Spiegel sind nicht mit dem Leben vereinbar. Das ist durchaus logisch, wenn man sich den Einfluss von IGF-1 auf Stoffwechsel und Zellwachstum in Erinnerung ruft. Die unterschiedlichen Studienergebnisse schließen sich also nicht mehr aus, sondern ergänzen einander – Ende gut alles gut.
Wir sind aber noch nicht am Ende, sondern erst mittendrin im Dickicht der Signalwege.
mTOR, AMPK, Sirtuine und Fasten
Neben dem IGF-1 Signalweg, der bekanntlich an der Glukoseerfassung beteiligt ist, stehen drei weitere verwandte und miteinander verbundene Nährstofferfassungssysteme im Mittelpunkt:
– mTOR dient der Erfassung von hohen Aminosäurekonzentrationen – steigt also nach einer proteinreichen Mahlzeit.
– AMPK erkennt niedrige Energiezustände durch hohe AMP-Werte. AMP entsteht beim Verbrauch vom wichtigsten körpereigenen Energieträger, dem ATP.
– Sirtuine, auch als Langlebigkeitsgene bezeichnet, erkennen niedrige Energiezustände durch das Erkennen von hohen NAD+-Spiegeln.
Wird mTOR herunterreguliert, dann ergibt sich bei Hefen, Würmern und Fliegen ein längeres Leben. Medikamentös kann man mTOR gezielt durch den Wirkstoff Rapamycin hemmen. Diesen Wirkmechanismus macht man sich in der Transpantatchirurgie zu Nutze. Nach Nierentransplantationen ist Rapamycin ein wichtiger Unterdrücker des Immunsystems, damit die fremde Niere nicht umgehend vom Körper abgestoßen wird. So vielversprechend die Studien über mTOR Hemmung und Lebensspanne sind, so besorgniserregend sind die Nebenwirkungen einer Dauerbehandlung. Schlechtere Wundheilung, Insulinresistenz und Grauer Star lassen hier grüßen.
Trotzdem ist Rapamycin die robusteste jemals entdeckte chemische Intervention zur Verlängerung der Lebensdauer bei Säugetieren. Umso wichtiger ist es, die beteiligten Mechanismen zu verstehen, um zu bestimmen, inwieweit schädliche und vorteilhafte Wirkungen der mTOR-Hemmung voneinander getrennt werden können. Otto oder Ottilie Normalverbraucher können eine Verminderung von mTOR teilweise durch Fasten erreichen. Das gelingt durch die synergistischen Effekte von Fasten auch ohne die erwähnten negativen Folgen. Weitergehende Informationen finden Sie im Artikel über Langlebigkeitspfade.
Von Nährstoffreichtum und Nährstoffknappheit
mTOR muss also ebenso wie IGF-1 herunterreguliert werden, um entsprechend positive Wirkungen auf das Altern hervorzurufen. Während IGF-1 (Vorhandensein von Glukose) und mTOR (Vorhandensein von Aminosäuren) Nährstoffreichtum signalisieren, melden AMPK und Sirtuine Nährstoffknappheit (Abwesenheit von Energie). Demzufolge begünstigt eine stärkere Wirkung von AMPK und Sirtuinen ein gesundes Altern. Der AMPK-Spiegel wird beispielsweise durch Metformin gesteigert. Das Medikament ist der Shootingstar auf der Diabetesbühne und hat durch zahlreiche förderliche Wirkungen auf unseren Körper große Aufmerksamkeit erlangt. In Würmern und Mäusen ohne diabetische Vorerkrankung verlängerte die Verabreichung von Metformin die Lebensspanne. Die Rolle von Sirtuinen bei der Regulierung der Lebensdauer wurde bereits im Artikel über epigenetische Veränderungen diskutiert.
Gandhi, Fasten und die Zukunft
Insgesamt stützen die aktuell verfügbaren wissenschaftlichen Informationen die Idee, dass die Regulation der Nährstoffaufnahme, einen Beitrag zu einem längeren gesunden Leben leistet. Zudem sind die Forschungsergebnisse aufbauend auf die Wirkstoffe Rapamycin und Metformin ebenso beeindruckend wie vielversprechend. Wenn auch noch einiges an detaillierter Forschung ausständig ist, lässt sich von der derzeitigen Perspektive aus sagen, dass unser fünftes Kennzeichen des Alterns auch ein aussichtsreicher Ausgangspunkt für die Beeinflussung des Alterns ist – und zwar schon jetzt. Schließlich sind die positiven Auswirkungen von Fasten bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt evident und nachvollziehbar.
Mahatma Gandhi hat einmal gesagt:
“Die Fastenzeiten sind Teil meines Wesens. Ich kann auf sie ebensowenig verzichten wie auf meine Augen. Was die Augen für die äußere Welt sind, das ist das Fasten für die innere.”
Was damals spirituell war, ist heute biochemische Realität… zumindest der zweite Teil.
Wollen Sie mehr über unterschiedliche Fastenmethoden erfahren? Es gibt bereits einen aufschlussreichen Artikel zu diesem Thema in unserem Magazin: Fasten – Perspektive für ein langes Leben.
Im nächsten Artikel dieser Reihe geht es um das sechste Kennzeichen des Alterns: die mitochondriale Dysfunktion.
Aus der Serie: Hallmarks of Aging
Welche nicht sichtbaren Veränderungen passieren im Körper, wenn wir älter werden? Was sind die Gründe für Falten, grauen Star oder Bluthochdruck? Wir schauen uns in der Serie „Hallmarks of Aging“ die Kennzeichen des Alterns an: molekular, tiefgründig, verständlich.
López-Otín, C., Blasco, M. A., Partridge, L., Serrano, M., & Kroemer, G. (2013). The hallmarks of aging. Cell, 153(6), 1194–1217. https://doi.org/10.1016/j.cell.2013.05.039